Interview mit den LFV-Verbandssportlehrern

"Können, wollen und müssen uns intensiver mit den einzelnen Talenten beschäftigen"


25.09.2023
Talentförderung • Junioren • Juniorinnen • DFB-Stützpunktsystem

Egal ob das unverhoffte Erklimmen der Medaillenränge im nordostdeutschen Vergleich, starke Platzierungen bei den Sichtungsturnieren des DFB oder Nominierungen von Akteuren aus Mecklenburg-Vorpommern für diverse Lehrgänge der U-Nationalmannschaften: Die Talentförderung des Landesfußballverbandes (LFV) kann in der Summe auf erfolgreiche Monate zurückblicken. In diesem Zusammenhang standen die beiden hauptamtlichen Verbandssportlehrern Martin Mroß (32) und Tilo Berner (43) in einem Interview Rede und Antwort.


Martin Mroß und Tilo Berner, als Verbandssportlehrer seid ihr prägende Figuren in Bezug auf die Talentförderung in Mecklenburg-Vorpommern, die eine der wesentlichen Aufgaben des Landesfußballverbandes darstellt. Wie würdet ihr selbst euer Wirken einschätzen und bewerten?

Mroß: Ich glaube, man kann es relativ kurzfassen: Sowohl Tilo als auch ich haben primär die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, um eine optimale Talentförderung in MV – mit einigen Besonderheiten, die unser Bundesland mit sich bringt – zu ermöglichen. Ob das Talentidentifikation ist, Sichtungsmaßnahmen oder Verknüpfungen mit dem Stützpunktsystem, da haben wir eine Vielzahl an Möglichkeiten.

Berner: Martin hat damit natürlich den Kern getroffen. Ich sehe uns dabei als einen von vielen wichtigen Bausteinen. Wir machen es ja nicht alleine, weder Martin noch ich, sondern wir haben da ein Team um uns herum, damit wir eben diese optimalen Rahmenbedingungen schaffen können. Und das funktioniert nur gemeinsam, möglichst alles muss ineinandergreifen, um das beste Ergebnis für die Mädels und Jungs herauszuholen.

Zu solchen Rahmenbedingungen gehört auch viel Organisation. Welche Aufgaben und Arbeiten fallen in diesem Zusammenhang für euch an?

Mroß: Es geht immer wieder darum, ein ganzes Jahr für die Talente zu planen, mit all den verschiedenen Lehrgängen und Turnieren für die verschiedenen Auswahlteams: Es geht unter anderem darum, Trainingsmöglichkeiten zu schaffen. Denn wir haben die große Besonderheit, dass wir in unserem Bundesland viel Fläche und ein eher geringes Aufkommen an Talenten haben. Und daher geht es nicht nur darum, einen qualitativ hochwertigen Wettkampf zu ermöglichen, sondern auch das Training zu gewährleisten. In MV müssen wir uns aufgrund der gegebenen Strukturen eben mehr Gedanken machen, wie wir es schaffen, die talentiertesten Spieler häufiger zusammenzubekommen, um eine qualitativ hochwertige Trainingsgruppe zu haben. Denn nur so ist es möglich, dass sich die Talente entwickeln. All diese Dinge müssen koordiniert werden. Konkret für meine Person mit der Gesamtverantwortung für die Standorte Schwerin, Neubrandenburg und Rostock geht es einfach darum, einheitliche Trainingsphilosophien vorzugeben. Man arbeitet als Verbandssportlehrer viel im konzeptionellen Bereich, um Bedingungen und Strukturen zu schaffen, die am Ende auch bei den Spielern ankommen und deren Entwicklung fördern. Das ist das Entscheidende.

Berner: Ich bin natürlich in der konzeptionellen Arbeit mit Martin tief eingebunden. Für mich ist dabei eine der größten Herausforderungen, das Organisatorische – auch wenn es sich vielleicht etwas banal anhört – sowohl für Mädchen als auch für Jungen zu bedenken und umzusetzen. Aber letztlich spielen wir alle Fußball, und das versuche ich den Jungen und Mädchen am Standort Neubrandenburg und speziell in der weiblichen Landesauswahl als meinem konkreten Verantwortungsbereich mitzugeben. Rein organisatorisch gibt es natürlich auch noch jene Dinge, die keiner sieht: Die Sichtung vor Ort oder das Einladungsmanagement, bei dem gewisse Zeitschienen eingehalten werden müssen. Hinzu kommt die Vorbereitung der einzelnen Lehrgänge. Da sind wir bei den Planungen teilweise schon jetzt im Jahr 2025 angelangt, weil gewisse Vorlaufzeiten notwendig sind. Absprachen mit den Sportschulen oder – wenn man gemeinsame Lehrgänge durchführen will – mit andere Verbänden. All das muss mittlerweile alles frühzeitig angegangen werden und hat in den letzten Jahren zugenommen.

Die besonderen Bedingungen in Mecklenburg-Vorpommern in Sachen Fußball wurden bereits skizziert. Hat unser Land im bundesweiten Vergleich hinsichtlich der Talentförderung einen Standortnachteil?

Mroß: Ich glaube schon, dass wir ein Standortnachteil haben, aufgrund der großen Fläche und dem geringen Talentaufkommen. Unser Wettbewerb im Aufbau- und Leistungsbereich ist in diesem Kontext nicht ausreichend, um fortlaufend die Entwicklungsschritte zu ermöglichen, die nötig sind, um perspektivisch mal den Schritt in den Profifußball zu schaffen – wohlwissend, dass dies ohnehin den wenigsten gelingt. Dennoch haben wir im Bereich der Talentförderung immer das Ziel, Spieler so zu entwickeln, dass sie Profifußballer werden können, egal ob das erste, zweite oder dritte Liga ist. Unmittelbar in Rostock haben wir zudem den problematischen Sachverhalt mit der Privatschule. Da geht es dann um finanzielle Aspekte, die im Vergleich zu anderen Bundesländern durchaus einen großen Nachteil darstellen.

Ergeben sich aus dieser Situation auch neue Chancen oder Möglichkeiten, die man nur zu nutzen wissen muss?

Mroß: Ja, schon fast logischerweise. Durch die geringe Dichte an Talenten können, wollen und müssen wir uns wesentlich intensiver mit den einzelnen Talenten beschäftigen und mit ihnen arbeiten. Man kann nicht einfach Spieler A gegen Spieler B bei gleichbleibender Qualität tauschen. Und somit erfolgt automatisch ein tiefgreifender Austausch mit den Vereinen bzw. dem DFB-Stützpunkt und den dortigen Trainern. Und das sehe ich als große Chance für Mecklenburg-Vorpommern: Wir tauschen uns innerhalb der Talentförderung wesentlich intensiver über Spieler aus.

Berner: Wenn ich bedenke, mit welcher Intensität man einzelne Spielerinnen rückblickend begleitet hat, kann ich dem nur zustimmen. Im weiblichen Bereich ist die Situation aber letztlich noch überschaubarer als bei den Junioren. Salopp formuliert kenne nicht nur jedes Talent, sondern jedes Mädchen, das Fußball spielt. Nur für den Standort Neubrandenburg und den weiblichen Bereich gesprochen muss ich dahingehend konstatieren, dass eigentlich optimale Rahmenbedingungen vorhanden sind, sie können nur einfach nicht mit Leben gefüllt werden, weil das Talentaufkommen so niedrig ist. Aber ich will nicht meckern, sondern ich will nach vorne gucken. Und dann arbeite ich halt nicht mit fünf, sondern mit drei Top-Talenten und kann mich noch intensiver kümmern – auch wenn wir in MV im Bereich der Frauen- und Mädchen aktuell keine oder keine annähernden Profibedingungen vorweisen können.

Der Begriff Talentaufkommen und die dahingehend fehlende Quantität sind von euch aufgegriffen worden. Ist dies einzig der Demografie in Mecklenburg-Vorpommern geschuldet, oder liegt die Ursache trotz allem Engagements im Fußball selbst – zum Beispiel mit Blick auf die Qualifikation der Trainerinnen und Trainer im Nachwuchs?

Mroß: Grundsätzlich glaube ich, dass man ein Talent nicht "verhindern" kann. Sicherlich kann man dafür sorgen, dass es aus seinen Gegebenheiten das Optimum rausholt, das ist einfach auch der Job eines Trainers. Was wir aus meiner Sicht unbedingt verbessern müssen, ist die Breite hinter unserer Spitze. Die Trainer sind dabei der Schlüssel. Denn auch wenn wir viel über die Wettbewerbsreformen und den neuen Kinderfußball sprechen oder zum Teil noch immer diskutieren, liegt der wesentliche Kern in der alltäglichen Trainingsgestaltung. Es bringt nichts, wenn man am Wochenende in den neuen Formaten wie z.B. 3-gegen-3 oder 5-gegen-5 mit dem klaren Vorteil der vielen Ballkontakte für alle Kinder spielt, aber im Training unter der Woche nach wie vor Inhalte mit ewig langen Warteschleifen und wenig Kontakten habe und bestmöglich noch 7-gegen-7 spiele. Dann habe ich am Ende des Tages nichts gewonnen. Es ist also ein wichtiger Aspekt, an die Coaches zu kommen und deren Haltung zu ändern. Denn es geht darum, das Bestmögliche für alle Spieler herauszuholen. Mit den Schlagworten des neuen DFB-Direktors Hannes Wolf gesagt: Es geht um Freude, Intensität und Wiederholung. Das sind die Dinge, die wichtig sind. Das setzt aber vielerorts einen Haltungswechsel voraus.

Berner: Im weiblichen Bereich sind wir an diesem Punkt noch gar nicht angekommen. Bei uns fehlt es an dieser oft zitierten Basis. Das belegen auch die Mitgliederzahlen: Lediglich knapp fünf Prozent der Aktiven sind weiblich; In Bremen spielen – bei sicherlich anderen Strukturen – mehr Mädchen Fußball als in MV, das mehr als doppelt so viele Einwohner hat. Und nur die Stadt Kiel allein hat mehr Frauenspielerinnen als Mecklenburg-Vorpommern. Da haben wir definitiv Steigerungspotenziale. In der Summe fehlt es im weiblichen Bereich an dem notwendigen Selbstverständnis und schließlich an Akteuren, die sich engagieren. Das haben wir bis dato nicht flächendeckend geschafft, das sind unsere Hausaufgaben in MV. Bei mehr Angeboten für Mädchen – Flächenland hin oder her – würde mit dann steigenden Mitgliedszahlen automatisch das ein oder andere Talent mehr dabei sein. Das ist aktuell die größte Stellschraube bei den Mädchen.

Dabei erlebt der Frauen- und Mädchenfußball seit der EM im Jahr 2022 national einen Hype. Und auch in MV sind steigende Tendenzen zu erkennen. Ist diese Entwicklung trotz allen genannten Mankos auch schon in deiner Arbeit zu spüren?

Berner: 2011 war nach der Weltmeisterschaft in Deutschland auch schon einmal ein Hype zu spüren. Aber nach einem Zwischenhoch ging es schnell wieder auf das Ausgangsniveau zurück. So etwas macht einen natürlich unzufrieden. Bundesweit spüre ich den aktuellen Hype auch im Austausch mit Kollegen schon, in Mecklenburg-Vorpommern eher noch nicht. Das liegt an dem zuvor genannten Problem: Es gibt sicher genug Mädels im Kindesalter, die Lust haben Fußball zu spielen. Aber oftmals finden sie einfach nicht die richtige Adresse. Oder es fehlt bedingt durch Strukturen einfach die Nachhaltigkeit. Es reicht manchmal, dass zwei oder drei aktive Mädels sagen: "Ich spiele nicht mehr Fußball". Dann bricht vor Ort von heute auf morgen alles zusammen.

Kommen wir zum übergeordneten Begriff "Talent". Wie lautet gemeinhin eure Definition, was macht ein Talent aus und welche Faktoren sind aus eurer Sicht von entscheidender Bedeutung? Spielt die vor allem im Profibereich teils inflationär thematisierte Mentalität auch in der frühen Entwicklung schon eine Rolle?

Mroß: Ja, auch im Jugendbereich ist Mentalität ein Begriff, der immer wieder fällt. Meine eigenen Talentkriterien würde ich so beschreiben: Für mich ist wichtig, dass eine hohe Leistungsbereitschaft da ist, eine intrinsische Motivation. Das ist eine Grundvoraussetzung. Hinzu kommen eine hohe Lernfähigkeit und – das ist auch mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung ein entscheidender – Widerstandsfähigkeit. Man muss in der Lage sein, mit Rückschlägen umzugehen gegen Widerstände anzukämpfen und sie zu überwinden, um sich weiterentwickeln zu können. Nicht außer Acht lassen darf man mittlerweile den Faktor Schnelligkeit, denn das Spiel ist immer schneller geworden. Und wenn wir darüber sprechen, geht es nicht nur um zyklische und azyklische Schnelligkeit, sondern auch darum, wie schnell bin ich tatsächlich im Kopf. Da geht es um Stichworte wie Vororientierung oder Wahrnehmungsschnelligkeit. Genau hier haben wir aus meiner Sicht große Reserven bzw. wir müssen in MV genau schauen, diesen Punkt immer wieder auch bei den Sichtungsmaßnahmen mit einfließen zu lassen. Was ich zusätzlich immer noch charmant finde, wenn ein Spieler eine "Waffe" hat, also eine ganz besondere Fähigkeit – sei es ein starker Torschuss, ein unfassbares Dribbling oder eben ein extrem hohes Tempo. Das sind für mich entscheidende Kriterien, mit denen ich mir ein Fußballspiel und vor allem die Spieler anschaue.

Berner: Mir ist noch ein wesentliches Merkmal bei Talenten wichtig: Kommunikation, und zwar auf und neben dem Platz. Die Mädchen müssen wir hier teilweise richtig bestärken. Es ist erfahrungsgemäß so, dass es bei den 10- bis 13-Jährigen in dieser Hinsicht deutliche Unterschiede zwischen dem männlichen und weiblichen Bereich gibt. Jungs sind in der Regel viel offener oder auch lauter auf dem Platz, woher auch immer das kommt.

Kurz zurück zu dieser einen besonderem Fähigkeit: Ist das etwas, was ein Talent schon von Beginn in bzw. mit sich trägt, oder kann man sich diese auch sukzessive erarbeiten?

Mroß: Sowohl als auch. Bei vielen jungen Spielern ist die Fähigkeit schon da, das kann man eigentlich auch gar nicht übersehen. Aber es gibt auch andere Beispiele, in denen ein Spieler eben noch nicht weiß, was wirklich seine besondere Stärke ist. Hier ist es als Trainer wichtig, auch eine gewisse Fantasie zu entwickeln, was auch spätere Positionen betreffend diese eine "Waffe" sein könnte und diese auch immer wieder zu fordern und zu fördern. Denn: Trainer neigen oft dazu, sich mit Dingen zu beschäftigen, die noch nicht gut sind, sich also mit limitierenden Faktoren auseinanderzusetzen und versuchen, diese anzugleichen oder auszumerzen. Ich glaube aber, dass wir noch wesentlich häufiger den Fokus genau auf diese Stärken, die unsere Spieler zweifelsohne haben, legen müssen. Auch die müssen immer wieder weiterentwickelt und gefestigt werden. Bestes Beispiel ist doch Arjen Robben. Da weiß jeder sofort, was seine "Waffe" war. Doch auch er musste das natürlich immer wieder trainieren. Es ist ja nicht so, dass man so etwas in die Wiege gelegt bekommt und dann stets abrufen kann. Sondern man muss es im Training immer wieder mit viel Fleiß wiederholen.

In den zurückliegenden Monaten haben die Auswahlteams aus Mecklenburg-Vorpommern viele gute Ergebnisse bei überregionalen Vergleichen erzielen können. Greifen hier andere bzw. neue Mechanismen oder ist es vielmehr auf einzelne gute Jahrgänge mit viel Talentpotenzial zurückzuführen?

Mroß: Es ist schon so, dass wir Strukturanpassungen vorgenommen haben. Im Jahr 2020 haben wir angefangen, unser Konzept der Talentförderung zu überdenken und zu überarbeiten. Da sind viele gute Ideen entstanden, wenn ich z.B. an das dezentrale Sichtungstraining denke. Sicherlich, so etwas gab es vor schon, da wollen wir uns auch gar nicht mit fremden Federn schmücken. Gleichwohl haben wir noch einmal einen ganz anderen Umfang reingebracht. Wir haben dieses Format beispielsweise nicht quartalsweise durchgeführt, sondern jeden Monat. Dadurch hatte man einen ganz anderen Zugriff auf die Talente. An den Standorten Schwerin und Neubrandenburg haben wir zudem die Schülerzahlen bewusst reduziert, einfach um noch individueller mit den Talenten arbeiten zu können. Ein Zahlenbeispiel: Als ich in der Schwerin als Landestrainer angefangen habe (im April 2017/d. Red.), hatten wir in knapp 120 Schüler am Sportgymnasium. Jetzt sind wir aktuell bei ungefähr 40 Sportlern. Ähnliche Reduzierungsvorgänge stellen wir an den DFB-Stützpunkten fest. Wir haben uns wesentlich mehr darauf konzentriert, mit den Bewegungstalenten zu arbeiten. Das ist ein entscheidender Punkt. Darüber hinaus hat Landestrainer Tobias Gregull seinerzeit einen sehr guten Rahmentrainingsplan ausgearbeitet, der an den Standorten Schwerin und Neubrandenburg genutzt wird und möglicherweise jetzt zeitnah auch in Rostock. So bekommen wir Spieler zu den Landesauswahlmaßnahmen, die den gleichen Wissensstand haben und gleiche Inhalte vermittelt bekommen haben. Auf dieser Grundlage kannst du natürlich in den einzelnen Lehrgängen auf bzw. mit einem wesentlich höheren Niveau beginnen. Unsere Spielphilosophie haben wir ebenfalls überarbeitet. Mit den Spielprinzipien haben wir nunmehr eine Art gemeinsame Sprache. Das ist für Spieler nicht unwichtig. Das sind alles Dinge, die uns gutgetan haben. Und das erste Halbjahr 2023 war rein von den Resultaten wirklich sensationell, das muss man schon sagen. Ob wir das nochmal in der Form in der Fülle wiederholen können, muss sich erst zeigen. Ganz unabhängig von Ergebnissen war es auch in dem Jahr davor schon erkennbar, dass wir im sportlichen Vergleich der 21 DFB-Verbände wieder wesentlich dichter dran sind. Die reine Platzierung drückt das nicht immer aus.

Berner: Wir verzichten mittlerweile auf längere Lehrgänge, dafür treffen wir uns häufiger. Das ist ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt, man kann viel intensiver mit den Mädchen arbeiten. Die positive Entwicklung zeigt sich bereits seit der Zeit am Ende bzw. nach der Pandemie. Auch wenn man es nicht nur an Ergebnissen festmachen kann und sollte, haben wir bei den Länderpokalen plötzlich Platzierungen eingenommen, von den zumindest ich so nicht zu träumen gewagt hatte. Oft waren sonst die letzten Plätze in der Tabelle für MV schon reserviert. Jetzt weiß man schon gar nicht mehr, wie sich das anfühlt, aber das ist ja ohnehin nur eine Randnotiz. Denn es geht ja um die Talente selbst und wir haben es zuletzt wieder öfter geschafft, diese auch auf DFB-Ebene zu platzieren. Das spricht eigentlich unmittelbar für die intensivere Arbeit mit den Spielerinnen. In einem Land der großen Distanzen muss man an dieser Stelle auch einmal den Eltern großen Dank aussprechen, das kommt oft zu kurz. Sie fahren ihre Schützlinge oftmals zu den zentralen Lehrgängen, das ist keineswegs selbstverständlich, wenngleich für die Talentförderung unabdingbar.

Woran macht ihr grundsätzliche eine gelungene Auswahlmaßnahme fest?

Mroß: Ich glaube, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern mittlerweile für eine gewisse Art und Weise stehen, wie wir Fußball spielen wollen. Wenn wir es umgesetzt bekommen, immer eine gewisse Form der Aktivität zu zeigen, den Mut finden, offensiv Fußball zu spielen und mitspielen zu wollen und uns nicht nur vor dem eigenen Tor zu verstecken und zu hoffen, dass da kein Ball reingeht, dann habe ich – unabhängig vom Ergebnis oder einer Platzierung –  eine gelungene Auswahlmaßnahme gesehen. Und wir als Trainer müssen bei solchen Veranstaltungen einen Rahmen schaffen, in dem jeder Spieler seine bestmögliche Performance abrufen kann. Egal wohin das letztlich führt, ob es für ein DFB-Nominierung oder einfach nur für die persönliche Weiterentwicklung reicht.

Berner: Für mich ist es gelungen, wenn ich nur jede einzelne Spielerin wieder ein Stück weit voranbringen kann. Egal ob dies einen der vielen Bausteine auf oder neben dem Platz betrifft. Gerade die persönliche Weiterentwicklung ist ein Kernelement. Wenn es gelingt, den Talenten Rüstzeug und so viel Werkzeug mit an die Hand zu geben, dass sie sich im Fußball und auch neben dem Platz weiterentwickelt haben, dann mache ich einen dicken grünen Haken. Und hierfür zählt jeder Lehrgang.

Ihr habt das Jahr 2020 erwähnt, bekanntermaßen der Start der Coronapandemie mit all ihren Auswirkungen. War diese Zeit, als der Sport im Grunde über eine längere Dauer stillstand, so etwas wie ein Booster für die jetzt sichtbaren Entwicklungen?

Mroß: Kurz und knapp: ja. Im Alltagsgeschäft es sonst nicht möglich, sich dort über einen längeren Zeitraum einfach auch mal rauszunehmen und diese Vielzahl an Dingen in der Tiefe zu diskutieren. All das war ein Prozess, der mehrere Monate angedauert hat und der – das habe ich zuvor schon erwähnt – in seiner Umsetzung jetzt auch weiter evaluiert werden muss. Der Prozess an sich aber bedarf jeder Menge Zeit. Und wenn man diese schlichtweg nicht hat, um sich z.B. kritisch mit unterschiedlichen Meinungen auseinanderzusetzen, dann kann schlussendlich kein gutes Produkt herauskommen. Diese Zeit hatten wir in der Pandemie dann plötzlich. Das war fernab aller Missstände irgendwie schon ein kleiner Segen.

Berner: Da kann ich nur beipflichten. Die Zeit, um konzeptionell zu arbeiten, war von jetzt auf gleich da, weil das Tagesgeschäft auf einmal brachlag. Und es ist jetzt schon so, dass wir davon profitieren.

Wie stellt sich das dezentrale Sichtungstraining aktuell dar?

Mroß: Die klassische Ursprungsvariante haben wir mittlerweile in das DFB-Stützpunktprogramm überführt. Dort finden nunmehr alle vier Wochen Regionaltrainings statt. Ein großer Vorteil ist, das wir dort sehr hoch qualifiziertes Personal haben, welches diese Einheiten durchführt. Und wenn ich die besten Talente einer Region zusammenziehe, ist das Niveau der Trainingsgruppe aufgrund der Qualität der Spieler natürlich wesentlich höher. Wir wollen hier das Prinzip „Messen mit Besten“ in die Umsetzung bringen. Das ist auf Vereinsebene vor allem in ländlichen Regionen natürlich so gar nicht möglich, deswegen wollen wir dezentral Angebote schaffen, um das Trainingsniveau für die Talente zu erhöhen. Es ist uns gelungen, die Dinge durch die gute Zusammenarbeit mit DFB-Stützpunktkoordinator Ken Georgi zu verzahnen und ein durchlässiges System vom Verein über den Stützpunkt und das Regionaltraining bis hin zur Landesauswahl zu erschaffen.

Profitiert der weibliche Bereich von dieser Entwicklung ebenso?

Berner: Die weiblichen Top-Talente sind mit integriert und die höhere Leistungsdichte kommt natürlich auch den Mädels zu Gute, auch wenn es vielleicht ein paar weniger sind. Die intensivere Arbeit mit den Top-Talenten bringt uns aber insgesamt voran.

Gab es in der jüngeren Vergangenheit rückblickend ein positives Ergebnis, oder eine gelungene Maßnahme bzw. ein Turnier, das euch besonders in Erinnerung geblieben ist?

Mroß: Das ist für mich ganz klar der Gewinn des NOFV-Regionalturnier mit den U16-Junioren im Frühjahr. Das war wirklich sehr beeindruckend, mit welcher Art und Weise die Jungs in Lindow Fußball gespielt haben. Es war keineswegs so, dass wir uns diesen Turniersieg ergaunert haben. Ganz im Gegenteil: Das waren tolle offensive Spiele und ich habe in diesem Rahmen auch mein persönlich bestes Auswahlspiel gesehen, welches wir mit 2:1 gegen Berlin gewonnen haben. Das war auf einem unfassbar hohen, technischen und taktischen Niveau und von einer unfassbaren Intensität geprägt. Das habe ich bis dato nicht gesehen und bislang jetzt auch nicht mehr, das war schon wirklich sehr beeindruckend. Dabei ist das ein Jahrgang, der immer sehr kritisch gesehen wurde und beim vorangegangen Länderpokal in Duisburg nahezu sang- und klanglos und gefühlt ohne den Hauch einer Chance Letzter wurde. Diese Jungs haben sich innerhalb von einem Jahr einfach enorm weiterentwickelt, weil – und das ist mir auch sehr wichtig zu sagen – in den jeweiligen Vereinen einfach gute Arbeit geleistet wurde. Denn unser Part als Verbandssportlehrer oder Landestrainer ist schon wichtig, wir geben noch einmal Impulse mit. Aber die tägliche Arbeit findet nun einmal im Verein statt.

Berner: Ich drehe die Uhr etwas weiter zurück und lande im Mai 2022. Beim DFB-Länderpokal waren wir sonst immer am Tabellenende, mit der U14 hatten wir mit Rang sieben einen echten Ausreißer nach oben. Und wenn man das letzte Spiel gegen Sachsen-Anhalt (1:1/d.Red.) so Revue passieren lässt: Mit einem weiteren Tor von uns wären die Dritter geworden. Die Mädels haben da letztes Jahr vier Spiele auf wirklich hohem Niveau innerhalb kürzester Zeit abgeliefert, wir konnten einige Spielerinnen aufs Tableau für DFB-Lehrgänge holen. Da bekomme ich selbst jetzt noch etwas Gänsehaut. Diese Momente sind nicht so häufig.

Zum Schluss noch eine ganz hypothetische Frage: Platz 1 beim DFB-Sichtungsturnier in Duisburg oder aber ein Talent in im Nationalkader platzieren – wofür würdet ihr euch entscheiden?

Mroß: Immer für das Talent.

Berner: Natürlich!

Vielen Dank für das Gespräch.



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