Schützt Aufwärmen vor Verletzungen oder ist das ein Mythos?


11.05.2021
Verband • Spielbetrieb • Männer • Frauen • Junioren • Juniorinnen

Jeder kennt es: Mitspieler:innen, die aus der Umkleidekabine direkt auf den Platz stürmen und erstmal mehrere Schüsse auf das Tor knallen. Der Großteil einer Mannschaft hält sich allerdings an das Mantra, das ihnen seit der Jugend in jedem Training vermittelt wurde: "Erst aufwärmen und dann schießen." Aber lohnt sich Aufwärmen wirklich und schützt es auch vor Verletzungen?

Je nach Liga und Anspruch variiert das Aufwärmprogramm von einem "vier gegen zwei über Eck", dem Lauf-ABC oder einem Laufzirkel bis hin zum Laufen von Platzrunden. Ein klassisches Aufwärmprogramm sollte ca. 30 bis 45 Minuten dauern und vier Phasen umfassen (siehe Abb. 1). Neben den Standardprogrammen gibt es natürlich auch andere Möglichkeiten, wie z.B. das motivierende spielerische Aufwärmen, das sich aus Lauf-, Pass-, und Spielformen zusammensetzt und das Aufstellen in Reihen teilweise oder gänzlich ersetzt (Quelle 1).

Steigerndes Aufwärmprogramm zur Herstellung optimaler Belastungs- und Leistungsfähigkeit

Schlussendlich dient jedes Aufwärmprogramm der Herstellung der optimalen körperlichen und mentalen Leistungsfähigkeit und der Verletzungsvorsorge für die anstehende Belastung einer Wettkampfsituation im Training oder im Spiel. Dabei kommt es zu vielfältigen Veränderungen der Körperfunktionen. Auf Muskelebene steigt durch die Aktivierung die Körperkerntemperatur um ein bis zwei Grad Celsius, wodurch die Reibung in den Muskelfasern und -faserbündeln abnimmt und die Rissanfälligkeit des gesamten Muskel-, Sehnen- und Bindegewebssystems sinkt. Das Nerven-Muskel Zusammenspiel verbessert sich, die Muskelfasern können schneller kontrahieren und die Reaktionszeit des Sportlers steigert sich um bis zu 15% (Quelle 1).

Auf Gelenkebene führt die Belastungssteigerung zu einer vermehrten Produktion von Gelenkschmiere, wodurch die in den Gelenken wirkende Kraft besser abgepuffert wird und in Summe die Verletzungsanfälligkeit dieser Strukturen sinkt.

Des Weiteren findet eine Anpassung des gesamten Herz-Kreislauf-Systems und des Stoffwechsels statt. Die steigende Herzfrequenz und der höhere Blutdruck führen zu einer vermehrten Durchblutung in der Muskulatur. Aufgrund des steigenden Energiebedarfs kann so sauerstoff- und nährstoffreiches Blut vermehrt zugeführt und Stoffwechselabbauprodukte wie Laktat schneller abtransportiert werden.

Positiver Effekt des Aufwärmens ist zeitlich begrenzt

Neben den physiologischen Anpassungen führen die standardisierten Abläufe des Aufwärmens auch zur Konzentrationssteigerung und der Einstimmung der Sportler:innen auf den Wettkampf. Die positiven Effekte des Aufwärmprogramms halten allerdings nur für ca. 20 bis 30 Minuten an, sodass Spieler:innen, die z.B. von der Bank kommen, sich immer wieder "warm" halten sollten (Quelle 1).

Verletzungsrisiko steigt mit der Dauer der Belastung

Das Anforderungsprofil an Fußballer:innen mit den unzähligen Richtungswechseln, Sprints, intervallartigen Ausdauerläufen ist sehr komplex und das Verletzungsrisiko steigt mit zunehmender Spieldauer. Studien haben gezeigt, dass bei den 13- bis 19-jährigen Fußballer:innen pro 1000 Stunden Fußball mehr Verletzungen während eines Wettkampfs (20 Verletzungen) als im Training (5 Verletzungen) auftreten (Quelle 2). Die meisten Verletzungen (bis zu 90%) betreffen dabei die Beine. Dabei beschränkt sich das Verletzungsmuster bei Kindern vor allem auf leichte Muskelverletzungen und Prellungen. In den höheren Altersklassen nimmt allerdings die Schwere der Verletzungen zu (Quelle 2). Damit verlängern sich die Ausfallzeiten von einigen Wochen bis hin zu Monaten. Insbesondere Verletzungen des Kniegelenks treten im Fußball bevorzugt auf und führen zu langen Ausfallzeiten (Quelle 3).

FIFA-Programm beugt Häufigkeit und Schwere von Verletzungen vor

Um Verletzungen im Amateur- und Profisport vorzubeugen, hat eine Expertengruppe der FIFA das FIFA 11+ Programm erarbeitet. Es handelt sich um ein komplettes Aufwärmprogramm, das nicht nur oben genannte kurzfristige Anpassungen der körperlichen Leistungsfähigkeit bewirkt, sondern auch nachweislich das Verletzungsrisiko senkt. In vielen internationalen Studien wurde die Nachhaltigkeit des Programms untersucht und es konnte gezeigte werden, dass die regelmäßige Durchführung (mind. zwei Mal wöchentlich) das Verletzungsrisiko im Training um fast 40% und im Spiel um 30% senkt. Die Zahl der schweren Verletzungen wird dabei sogar um 50% reduziert.

Das FIFA 11+ Programm ist für Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr empfohlen und umfasst drei Teile mit insgesamt 15 Übungen, die vor einem Training in der dargestellten Reihenfolge ablaufen sollten. Für die Umsetzung des gesamten Programms genügen 25 bis 30 Minuten und es werden keine zusätzlichen Materialien benötigt.

Der erste Teil besteht aus sechs Laufübungen mit geringem Tempo, aktiven Stretching und kontrolliertem Körperkontakt. Teil zwei konzentriert sich in sechs Übungen auf die Kräftigung u.a. der Rumpf- und Beinmuskulatur und dient der Verbesserung des Gleichgewichts. Je nach Fähigkeiten der Spieler kann dieser Teil in insgesamt drei Schwierigkeitsstufen angepasst werden. Der letzte Teil umfasst drei Lauf- und Sprintübungen mit Sprüngen oder Richtungswechseln.

Nicht die Frequenz, sondern die richtige Technik macht den Unterschied

Die Kernelemente des Programms konzentrieren sich insbesondere auf die Rumpfmuskulatur, die neuromuskuläre Kontrolle und das Gleichgewicht. Zu erwähnen ist, dass es bei den Übungen nicht darauf ankommt, wie häufig man die Übungen durchführt, sondern darauf, dass Übungen mit der richtigen Technik, sowie die korrekte Körperhaltung und -kontrolle ausgeführt werden. Dabei sollte z.B. auf eine gerade Beinachse der Knie bei Sprungübungen geachtet werden, eine sanfte Landung und, dass die Kniespitzen bei der Kniebeugung nicht über die Zehen hinausragen (siehe Abb. 2).

Da das Aufwärmen zum Standard bei der Spiel- oder Trainingsvorbereitung gehört, kann das FIFA 11+ Programm in das Aufwärmprogramm integriert werden und damit sowohl kurz- als auch langfristige Erfolge bei der Verletzungsprävention erzielen. Hier haben die Trainer und Spieler eine Möglichkeit durch regelmäßig Durchführung des Programms ohne zusätzliche Kosten und zusätzliches Trainingspensum Verletzungen über den Saisonverlauf zu reduzieren (Quellen 4 & 5).


Quellen:

  1. Kibele A., Konopka H.-P. „Gelbe Reihe Materialien für den Sekundarbereich II / Trainingslehre„, 2018, Schroedel Verlag, ISBN: 978-3-507-10092-3
  2. Faude O., Rößler R., Junge A. „Football Injuries in Children and Adolescent Players: Are There Clues for Prevention? (2013) Sports Med 43:819–837, DOI 10.1007/s40279-013-0061
  3. Ekstrand J, Krutsch W, Spreco A, van Zoest W, Roberts C, Meyer T, Bengtsson H (2020) Time before return to play for the most common injuries in professional football: a 16-year follow-up of the UEFA Elite Club Injury Study. Br J Sports Med 54(7): 421-426
  4. Soligard T., Myklebust G., Steffen K., Holme I., Silvers H., Bizzini M., Junge A., Dvorak J., Bahr R., Andersen T.E. A comprehensive warm-up programme to prevent injuries in female youth football: a cluster randomised controlled trial. British Medical Journal, 9. Dezember 2008; 337: a2469. doi: 10.1136/bmj.a2469
  5. Soligard T., Nilstad A., Steffen K., Myklebust G., Holme I., Dvorak J. et al. Compliance with a comprehensive warm-up programme to prevent injuries in youth football. British Journal of Sports Medicine, September 2010; 44(11): 787–793


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